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Neue Eigenschaft eines Coronavirus

„Hat Potenzial, eine Pandemie auszulösen“: Das sagen Experten zu HKU5-CoV-2

Forscher warnen vor HKU5-CoV-2: Wie gefährlich ist das neue Virus?
In China haben Forscher im Zuge einer Studie entdeckt, dass sich ein Coronavirus in Fledermäusen verändert und besser an den Menschen angepasst hat. Experten sagen, welche Gefahr von HKU5-CoV-2 ausgeht und was seine Erforschung über den Ursprung der Pandemie aussagt.
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Die Pandemie steckt vielen Menschen noch in den Knochen. Umso mehr versetzt die Nachricht, dass Forscher nun eine Veränderung bei einem Coronavirus namens HKU5-CoV-2 in Fledermäusen entdeckt haben, in Aufregung. Demnach hatte eine chinesische Forschergruppe im Zuge einer Studie herausgefunden, dass sich das seit mehreren Jahren bekannte HKU5-CoV-2 mittlerweile besser an den Menschen angepasst hat. 

"Das in Fledermäusen schon vor einer Weile entdeckte HKU5-CoV-2 kann denselben humanen ACE2-Rezeptor wie Sars-CoV-2 verwenden, was ihm erlaubt, in ein vergleichbares Spektrum an menschlichen Zelltypen einzudringen", erklärt Friedemann Weber, Professor für Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, auf Nachfrage von FOCUS online.

Zudem könne das Virus die Ausbreitung im Körper fördern. Das ermöglicht seine Furinspaltestelle, also eine molekulare Struktur im Spikeprotein. Hier findet eine wirtseigene Proteinaufspaltung statt, wodurch die Viren noch ansteckender werden. Darüber hinaus ist HKU5-CoV-2 mit dem ansteckenden Mers-Virus verwandt. 

Weiteres Coronavirus besser an Menschen angepasst - welche Gefahr für den Menschen besteht

Welche Gefahr ergibt sich daraus für den Menschen? Laut Weber bestehe ein "gewisses Risiko, dass HKU5-CoV-2 auf Menschen überspringt und sich adaptiert". Auch Epidemiologe Timo Ulrichs erklärt im Interview mit FOCUS online: "Das Virus hat ein höheres Krankheitspotential als Sars-CoV-2 und gleicht darin eher den Mers-Viren", sagt der Professor. "Es sollte also besser nicht auf den Menschen übergehen."

Gleichzeitig gibt Weber Entwarnung: "Auf der anderen Seite ist die Infektion menschlicher Zellen nicht sehr effizient und die meisten Experimente bezüglich des ACE2-Rezeptors wurden mit sogenannten Pseudotypen gemacht, also nicht mit dem tatsächlichen Virus. Ich denke nicht, dass da unmittelbar Gefahr droht."

Ebenso wies die Studie laut der Nachrichtenagentur Reuters selbst darauf hin, dass das Virus eine deutlich geringere Bindungsaffinität zu menschlichem ACE2 als Sars-CoV-2 aufweist. Außerdem gebe es weitere Faktoren, die für die Anpassung an den Menschen wenig optimal sind. Sie würden laut Studie zeigen, dass das "Risiko des Auftretens in menschlichen Populationen nicht übertrieben werden sollte".

"Potential, eine Pandemie auszulösen"

Virologe Ulf Dittmer schätzt HKU5-CoV-2 folgendermaßen ein: "Das neue Virus kann sehr effizient ACE2 als Rezeptor benutzen, hier gibt es also Parallelen zu SARS-CoV-2 und sicher auch das grundlegende Potential, eine Pandemie auszulösen." Wie groß dieses Potential wirklich ist, sei allerdings anhand solcher Zellkultur-Studien nur schwer abschätzbar. Dittmer ist Professor für Virologie und Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen.

Ob ein Virus auf einen Tier oder einen Menschen überspringe, hänge von vielen weiteren Faktoren ab. "Es muss also zum Glück viel zusammen kommen, damit eine Pandemie entstehen kann", erklärt Dittmer. "Man sieht aber an diesen Arbeiten, dass es wichtig ist zu wissen, welche Viren in Tieren vorkommen. Nur so kann man sich entsprechend vorbereiten."

Was HKU5-CoV-2 über den Ursprung der Pandemie verrät

Laut Friedemann Weber sei die wichtigste Erkenntnis aus der aktuellen Studie nicht die mögliche Gefahr, die von dem Virus ausgeht, sondern das, was seine Erforschung beweist. So zeige die Studie, dass in der freien Wildbahn viele Coronaviren existieren, die Potenzial haben, auf den Menschen überzuspringen. 

"Darüber hinaus wird einmal mehr der Mythos widerlegt, dass die Furinspaltstelle des Sars-CoV-2 angeblich so einzigartig ist, dass sie im Labor geschaffen worden sein muss", sagt der Virologe, die Verschwörungstheorien rund um die Entstehung von Sars-CoV-2 aufgreifend.

Weitere wichtige Fragen zum veränderten Coronavirus hat FOCUS online für Sie zusammengefasst:

Was ist das Coronavirus HKU5-CoV-2?

HKU5-CoV-2 ist ein Coronavirus aus der Gruppe der Merbecoviren, zu der auch das Mers-Virus gehört.

In der Studie heißt es: „Fledermaus-Merbecoviren, die phylogenetisch mit Mers-CoV verwandt sind, bergen ein hohes Risiko der Übertragung auf den Menschen, entweder durch direkte Übertragung oder durch Zwischenwirte.“

Was ist neu am Coronavirus HKU5-CoV-2?

„Das Virus ist nicht neu oder neu entdeckt, wir wissen bereits seit 2006 von seiner Existenz. Aber nun konnte nachgewiesen werden, dass sich das Virus verändert hat und mit seinen Oberflächenmolekülen auch menschliche Strukturen erkennen kann“, erläutert Virologe Timo Ulrichs auf Nachfrage von FOCUS online. Vorspann mit Bild - Zur Person

Wie infiziert das Coronavirus HKU5-CoV-2 Menschen?

Es gibt Hunderte von Coronaviren, aber nur wenige können Menschen infizieren, darunter Sars, Sars-CoV-2 (das Virus, das Covid-19 verursacht) und Mers (Middle East Respiratory Syndrome). Das Virus HKU5-CoV-2 nutzt den ACE2-Rezeptor, um Organismen zu infizieren – so wie auch Sars-CoV-2.

Was die chinesischen Forschenden zeigten: Es hat dank der ACE2-Bindungsstelle ein höheres Potenzial, Menschen zu infizieren als andere Coronaviren, weil es Sars-CoV-2 und NL63 (einem Erkältungsvirus) ähnelt.

Allerdings: All das spielte sich im Labor ab. HKU5-CoV-2 konnte menschliche Zellkulturen in den von den Wissenschaftlern verwendeten Mini-Organmodellen infizieren.

Inwiefern steckt im Fledermaus-Virus das Potenzial für eine weitere Pandemie?

Der Epidemiologe Ulrichs sieht die Lage aktuell entspannt: „Ob es das Potential hat, von der Fledermaus möglicherweise über Zwischenwirte auf den Menschen überzugehen, wissen wir nicht. Und auch nicht, ob es dann lernen kann, sich von Mensch zu Mensch zu übertragen. Wahrscheinlich ist es eher gering.“

Dennoch mahnt Ulrichs: „Ein Risiko besteht allerdings immer für eine solche Zoonose, und das trifft auch auf die vielen Viren im Tierreservoir zu, von denen wir noch gar nichts wissen. Deshalb ist es wichtig, mehr in Zoonoseforschung zu investieren, damit wir uns besser auf eine mögliche neue Pandemie mit einem Erreger aus dem Tierreservoir vorbereiten können.“

Darüber hinaus sei es wichtig, die Kontakte zu Wildtieren zu reduzieren, die besonders viele solche Erreger in sich tragen, wie zum Beispiel Fledermäuse. Wir sollten ihre Lebensräume nicht immer weiter beschneiden.

Auch Michael Osterholm, Experte für Infektionskrankheiten an der University of Minnesota und einst Berater des Ex-US-Präsidenten Joe Biden, bezeichnete die Reaktionen auf die Studie hinsichtlich einer weiteren Pandemie als „übertrieben“. Der US-Epidemiologe sagte Reuters : In der Bevölkerung bestehe im Vergleich zu 2019 eine hohe Immunität gegen ähnliche Sars-Viren, was das Pandemierisiko verringern könnte.

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